Liegt die Zukunft des Gesundheitswesens in der Partizipation?
Unter der Leitung der Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion (GSI) des Kantons Bern hat eine Taskforce am 16. und 22. Mai zwei Veranstaltungen zum Thema «Zukunftsweisende Dienstplanung» durchgeführt. Angesichts des Fachkräftemangels sehen sich viele Institutionen des Gesundheitswesens mit der Frage konfrontiert, wie sie Arbeitsbedingungen – auch im administrativen Bereich – verbessern können.
Viele Beteiligte sehen in der partizipativen Dienstplanung einen möglichen Schlüssel zur erfolgreichen Bewältigung des herrschenden Fachkräftemangels. Am GSI-Event wurden Probleme aus der Praxis beleuchtet und neue Hilfsmittel für einen stärkeren Einbezug von Mitarbeitenden in die Dienstplanung besprochen. Technologie und Psychologie scheinen hier gleichermassen von Bedeutung.
Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Institutionen, die sich bereits intensiv mit dieser Herausforderung beschäftigen, nahmen zum Thema Stellung. Und sie ermutigten andere Institutionen dazu, ihrem Beispiel zu folgen.
Eine provokative These zum Einstieg
Johannes Martz, Abteilungsleiter Account Management beim Gesundheitsamt des Kantons Bern und seit 35 Jahren im Gesundheitswesen tätig, führte ins Thema ein und stellte dabei fest, dass beim Fachkräftemangel durchaus auch politische und strukturelle Aspekte eine Rolle spielen. Einerseits gibt es eine zu hohe Spitaldichte. Und andererseits sieht man sich mit der Tatsache konfrontiert, dass Spitalschliessungen ein schwieriges Thema sind, weil vor allem politisch unattraktiv. Nun, Rahmenbedingungen hin oder her – die aktuelle Fragestellung lautet: Wie können wir im Gesundheitswesen Attraktivität schaffen und erhalten? Ganz besonders auch für die am stärksten betroffenen Berufe?
Happy employee, happy company
Clara-Sophie Körner und Stefan Matthys von HR Campus erläuterten in ihrem Beitrag über die Psychologie der Dienstplanung, was es für Mitarbeitende eigentlich bedeutet, von Dritten verplant zu werden und welche Hürden dabei zu bewältigen sind. Anhand verschiedener Modelle versuchten sie, eine Brücke zu bauen zwischen Fachkräftemangel und Personaleinsatzplanung. Sie erläuterten dabei unter anderem, wie die Partizipationspyramide von der Theorie in die Praxis umgesetzt werden kann.
In ihrer spannenden Präsentation vertieften die beiden zudem die Bedeutung von extrinsischer und intrinsischer Motivation. Mithilfe des Haufe-Quadranten führten sie den Teilnehmenden vor Augen, wie unterschiedlich Motivation zustande kommen oder auch gefördert werden kann. Zudem erläuterten sie, wie in den Spannungsfeldern von Autonomie vs. Partizipation einerseits das Bedürfnis nach Planungssicherheit und andererseits der Wunsch nach Flexibilität gleichermassen berücksichtigt werden können.
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Wie die Praxis mit der partizipativen Personaleinsatzplanung umgeht: Vier Beispiele.
1. Rehaklinik Schützen
Matthias Meyer ist Leiter der Klinikinformatik in der Rehaklinik Schützen in Rheinfelden. Die Institution beschäftigte sich in den letzten Monaten intensiv mit dem Thema Ressourcenersatz. Während Covid-19 hatte das Unternehmen viele Ausfälle – auch über längere Zeiträume – zu bewältigen. Vorab: Die Ressourcenersatzsuche in den Bereichen Hotel und Pflege gestaltet sich seit diesem Zeitpunkt überaus zeitintensiv. So wurden beispielsweise Mitarbeitende, die bei Anfragen schon öfter abgesagt hatten, tendenziell gar nicht mehr angefragt, obwohl sie vielleicht gerade in der damaligen Situation zur Verfügung gestanden hätten. Und man stellte auch fest, dass Mitarbeitende, die immer wieder angefragt wurden, gar nicht mehr auf Anrufe reagierten. Solche Anfragen, verbunden mit Bitten und Feilschen, können Beziehungen am Arbeitsplatz stark belasten. Daher suchte man seitens der Klinikleitung nach einer Lösung, die den Bedürfnissen von Mitarbeitenden und Institution gleichermassen entspricht. Es musste eine neutrale und schnelle Art der Ersatzanfrage gefunden werden.
Diese Lösung fand man in einer mobilen Software. Matthias Meyer meint dazu: «Eine standardisierte Nachricht via App versucht nicht zu schmeicheln, Mitarbeitende wissen sofort, worum es geht. Und weil die Anfrage in einen Pool gesendet wird, können mehrere Mitarbeitende gleichzeitig neutral angefragt werden. Die individuelle Antwort kann dann in Ruhe und ohne Zeitdruck erfolgen.»
Weitere Vorteile dieser Lösung: Mitarbeitende können Zusatzbedingungen deklarieren, durch die Integration in die digitale Personaleinsatzplanung ist die Handhabung effizient und arbeitsrechtliche Regelungen werden berücksichtigt und eingehalten.
So freuen sich die Klinikverantwortlichen – und die Mitarbeitenden der Rehaklinik Schützen – heute über Mehrwerte wie:
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Wertvolle Beziehungen werden erhalten.
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Diensttausche können individuell untereinander abgesprochen werden und erfolgen so ohne Druck.
2. Inselspital Bern
In der Frauenklinik des Inselspitals ist Corinne Maurer-Hofer Leiterin im Medizinbereich Frau und Augen. Andrea Messer ist Abteilungsleiterin der Geburtshilfe. Die beiden informierten über die Situation in Sachen partizipativer Dienstplanung in ihrer Institution. Zu Beginn ihres Vortrages stellten sie die Thematik in einen erweiterten Kontext und riefen den Anwesenden noch einmal in Erinnerung, dass schweizweit aktuell rund 13 500 Pflegefachkräfte fehlen und diese Lücke bis 2030 bis auf 32 5000 ansteigen wird.
Im Inselspital liegt die Fluktuationsrate momentan bei 22 Prozent, Absenzen verzeichnet man monatlich rund 9 Prozent. Die interprofessionelle Zusammenarbeit in Form von Arbeits- und Aufgabenaufteilung zwischen verschiedenen Berufsgruppen gewinnt daher auch im Inselspital laufend an Gewicht. Und mit dem Wandel in der Gesellschaft wird bis 2045 eine Verdoppelung der Achtzigjährigen vorhergesagt. Die Pflege wird also immer komplexer und breiteres Fachwissen immer wichtiger. Bei der Generation Z, die auf den Arbeitsmarkt drückt, erhält die Arbeit indes einen immer kleineren Stellenwert. All diese Umstände verleihen einer partizipativen Dienstplanung, die auf die Bedürfnisse von Mitarbeitenden eingeht, ein immer höheres Gewicht.
Mit einer analogen Planung hat man am Inselspital diesen Umständen Rechnung getragen. Corinne Maurer-Hofer und Andrea Messer betonen, dass eine Prozessänderung vorab im Kopf beginnen muss und auch ohne digitales Tool möglich sein kann. Letztlich geht es für Mitarbeitende um die Vereinbarkeit von Arbeit, Freizeit und Familie. Teilzeitarbeit oder Freiberuflichkeit sollen mögliche Optionen für einen individuellen Lebensentwurf sein. Auch in der Pflege. Mit dieser Planung hat man am Inselspital gute Erfahrungen gemacht. Die Zufriedenheit der Mitarbeitenden ist laut den Aussagen der beiden Frauen höher. Und sie wirkt auch als Argument beim Recruiting. Das Wichtigste auf dem Weg zu einer erfolgreichen partizipativen Dienstplanung ist, so Corinne Maurer: «Man muss bereit sein, alte Zöpfe abzuschneiden, Hierarchien aufzuweichen und neue Modelle zuzulassen.»
3. Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) Nottwil
Marcel Unterasinger, Leiter HR beim Schweizer Paraplegiker-Zentrum, eröffnete den Anwesenden, dass im SPZ der Ressourcenersatz bereits eingeführt ist. Er informierte über Gründe, Herangehensweise, Herausforderungen und den aktuellen Stand der Dienstplanung in seiner Institution. Um die Zufriedenheit der Mitarbeitenden und die Qualität in der Pflege zu gewährleisten, sind für Marcel Unterasinger eine frühzeitige Planung, jederzeitige Einsicht in Dienstpläne, Klarheit im Prozess des Dienstabtausches, gezieltes Anfragen und einfaches Antworten sowie das Einbringen von individuellen Wünschen wichtig. Um die Bedürfnisse für eine neue Lösung abzuklären, wurden Ende 2021 Pflegeleitung, Disposition und Mitarbeitende befragt. Daraus resultierte ein Anforderungskatalog, gefolgt von Tests mit verschiedenen Anbietern. Nachdem der Entscheid für einen Anbieter gefallen war, lag die Verantwortung für die Einführung der neuen mobilen Lösung bei einer spezifisch definierten Projektgruppe.
Natürlich galt es auch, Hürden zu überwinden. Sowohl technische als auch menschliche. Denn Partizipation bringt neben der Möglichkeit zur Mitwirkung eben auch Verantwortung mit sich. Und mit der Flexibilität verhält es sich so, dass sie einerseits Transparenz und Zugang zu Informationen mit sich bringt, aber eben auch die Vermischung von Privatleben und Arbeit, beispielsweise weil eine App auf dem privaten Smartphone installiert wird. Dies empfinden einige Mitarbeitende als störend, jedoch handle es sich dabei um eine Minderheit von unter einem Prozent.
Doch gerade auch Mitarbeitende, die dem digitalen Prozess eher kritisch begegnen, müssen eingebunden werden. Druck aufsetzen oder Stillstand sind allerdings keine Optionen – es müssen Lösungen gefunden werden, die alle gemeinsam in die neue, vermehrt digitale Arbeitswelt führen. Dabei sind die Haltung und das positive Vorbild von Leadern nicht zu unterschätzen.
Marcel Unterasingers Fazit ist ein positives: Heute sind bereits nahezu alle Pflegenden in die Nutzung der mobilen Lösung eingeführt. Der Druck auf Mitarbeitende bei kurzfristigen Personalausfällen und die daraus folgenden individuellen Ressourcenersatzanfragen haben spürbar abgenommen. «Gut eingesetzt», sagt Unterasinger zum Schluss, «ist die partizipative Dienstplanung mit der App ein Plus im Job.»
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